Die Tora Rolle

Die Freude an Gott ist unsere Stärke (Neh 8, 10)

 

Die Schriftrolle oder Tora-Rolle im unteren Teil des Südfensters zeigt in hebräischer Sprache das "Sch'ma Jisrael" (Höre Israel), jenen Text aus dem Buch Deuteronomium, der das Kernstück jüdischen Glaubens bildet: "Höre Israel! JHWH ist einzig! Und du sollst lieben JHWH, deinen Gott, mit all deinem Herzen und mit all deiner Seele und mit all deiner Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen dir ins Herz geschrieben sein" (Dtn 6, 4-6). Da die Wurzeln des Christentums nicht nur im neuen Testament liegen, sondern z.T. weit bis ins alte Israel zurückreichen, kann man diese Verse gleichsam als Klammer zwischen Judentum und Christentum betrachten.

Die Tora-Rolle enthält den Pentateuch: die fünf Bücher Mose, oder genauer - nach der Übersetzung Martin Bubers - die fünf Bücher der Weisung. Das hebr. Wort "Tora" bedeutet nicht nur "Gesetz" oder "Gebot". Es beinhaltet viel mehr: zunächst Belehrung, Unterricht oder Einweisung, darüber hinaus aber Weisung im Sinne von "Weg-Weisung" - sowohl für den Einzelnen, als auch für das ganze Volk. Wer sich von dieser Weisung und damit nach jüdischer Auffassung gleichsam von JHWH (Gott) selbst angesprochen weiß, wird umgekehrt gedrängt, Antwort zu geben. So entwickelt sich ein Dialog, der seinem Wesen nach bereits Gebet ist. Er verändert den Menschen auf den hin, der ihn anspricht und dem er dann folgen kann in all seinem Tun - auf Gott: "Du sollst wandeln hinter dem Herrn, deinem Gott her" (Dtn 13, 5). Das aber bedeutet nach jüdischem Verständnis, was wir später im Neuen Testament im Evangelium nach Matthäus lesen: "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25, 35-40).

Die Juden haben Freude an dieser, ihrer Tora, Freude am Gesetz als Weisung des Herrn. Sie feierten schon sehr früh das Laubhüttenfest (Sukkot) als eigenes "Fest der Tora", als ein "Fest der Gesetzesfreude" (Simchat-Tora). Dieses gilt sogar als das fröhlichste Fest des Jahres, bei dem bereits die Kinder kleine Tora-Rollen bekommen, mit denen sie fröhlich singend und tanzend an der Prozession durch die Synagoge teilnehmen. Dieses verständnis von "tora" gab immer wieder Anlass zur Freude und Dank, war Grund, sich neu auf JHWH's Weisung einzulassen, sie zu betrachten, denn aus dem Umgang mit Wort und Weisung des Herrn versuchte der Israelit, Gott besser zu erkennen, täglich neue Seiten an ihm zu entdecken, so dass sich sein Gottesbild immer mehr weitete. Sein Leben war bis in alle Einzelheiten geprägt von dieser Freude an Gott, der ihm dadurch nahe war.

Das fröhliche, helle Gelb und Blau über der Tora-Rolle lässt etwas aufscheinen von der Freude an der Weisung des Herrn.